Although it is related to an international affair between the Federal Republic of Germany and the United States of America, this critique of a recent decision by the Federal Constitutional Court of Germany is written in German because I don’t feel comfortable expressing my juristic thoughts concerning this case in English. Reasoning about Germany’s constitution is best done in German because that’s the language the constitution and most literature about it is written in. (This is probably true for any nation state.)
Mit seinem Beschluss vom 13. Oktober 2016 (2 BvE 2/15, Pressemitteilung Nr 84/2016 vom 15. November 2016) hat der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die Anträge der Bundestagsfraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Organstreitverfahren zwischen der Bundesregierung und dem „NSA-Untersuchungsausschuss“ (bzw dem Bundestag) um die Herausgabe der sogenannten „NSA-Selektorenlisten“ entscheiden, dass „im besonderen Fall der NSA-Selektorenlisten […] das Vorlageinteresse des Untersuchungsausschusses zurückzutreten [hat]“. Der Beschluss – der aus Geheimschutzgründen ohne eine mündliche Verhaldnung zustande kam – überzeugt leider nicht. Der Senat scheint sich in erheblichem Maße von politischen „Sachzwängen“ überzeugen haben zu lassen. Bereits die im Beschluss angeführten juristischen Gegenargumente dürften die Argumente, die das Ergebnis stützen sollen, überwiegen. Dazu kommt, dass von letzteren meines Erachtens nicht alle unwidersprochen bleiben können.
Zunächst legt der Senat in nicht zu beanstandender Weise dar, dass das Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsaussusses auch das Recht umfasst, sich die NSA-Selektorenlisten vorlegen zu lassen und dass die Bundesregierung dieses Recht nicht durch die Einsetzung der „sachverständigen Vertrauensperson“ und deren gutachterliche Stellungnahme erfüllt hat. Ferner zuzustimmen ist dem Senat auch in seinen Ausführungen dazu, dass das Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses nur insofern eingeschränkt werden kann, als diese Schranken ihre Grundlage in Recht von Verfassungsrang haben, und dass völkerrechtliche Verpflichtungen – obgleich sie in der Rangordnung über einfachgesetzlichem Recht stehen – alleine diesen Anforderungen nicht genügen. Umso weniger kann folglich lediglich ein sogenanntes Memorandum of Understanding mit den USA diese Anforderungen erfüllen. Somit ist die von Senat teilweise versuchte Klärung der Frage, auf welcher Grundlage die Weigerung der Bundesregierung, die Listen herauszugeben, beruht, entbehrlich. Da beide Dokumente Verschlusssachen sind, lässt sich an dieser Stelle über die Frage ohnehin allenfalls spekulieren.
Um letztendlich doch zu seinem ablehnenden Ergebnis zu kommen, entscheidet sich der Senat für eine Abwägung des Informationsintersses des Untersuchungsausschusses mit dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung, die er zugunsten des letzteren ausfallen lässt. Zwar ist gegen eine solche Abwägung grundsätzlich nichts einzuwenden und die bemühten Staatsziele (Fähigkeit Deutschlands zur internationalen Zusammenarbeit in der Gefahrenabwehr bzw die Abwehr terroristischer Gefahren im Allgemeinen) genügen sicherlich auch den Anforderungen an ein hinreichend wichtiges Verfassungsgut. Die Abwägung im Detail überzeugt indes jedoch nicht.
Zunächst ist grundsätzlich festzuhalten, dass die Bundesregierung sich – durch welches (völker-)rechtliche Konstrukt auch immer – nicht einseitig ihren verfassungsrechtlichen Pflichten entziehen kann. Besteht also eine verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesregierung, das Parlament über ihre nachrichtendienstlichen Aktivitäten zu informieren, so ist jede Maßnahme, mit der es sich die Regierung (tatsächlich oder rechtlich) unmöglich macht, in Zukunft dieser Pflicht Folge leisten zu können, als verfassungswidrig zu betrachten. In anderen Worten, die Regierung kann, wenn sie Geheimabkommen mit ausländischen Staaten schließt, darin nicht über die Rechte des Parlaments verfügen. Würde man hier von einem Anderen ausgehen, liefe die Kontrollfunktion des Parlaments weitestgehend ins Leere, da die Regierung nach eigenem Belieben Gründe schaffen könnte, die sie ihrer verfassungsmäßigen Pflichten entbinden würden. Dass die Regierung in diesem Fall bereits vollendete Tatsachen geschaffen hat und die fraglichen Abkommen bereits geschlossen sind, tut der Sache keinen Abbruch. Es liegt in der Natur von Geheimabkommen, die ohne Beteiligung von Parlament und Öffentlichkeit von der Regierung ausgehandelt und abgeschlossen werden, dass eine parlamentarische oder verfassungsrichterliche Prüfung im Vorhinein nicht möglich ist. Bliebe der Abschluss eines verfassungswidrigen Abkommens jedoch im Zweifel ohne Konsequenzen und ließe man sich nachträglich darauf ein, das Abkommen trotz seiner Verfassungswidrikeit zu akzeptieren, würde man auch den letzten Rest an Kontrollmechanismen aufgeben. Dass der parlamentarischen Kontrolle nachrichtendienstlicher Aktivitäten aus verschiedenen Gründen eine besonders hohe Bedeutung zukommt, hat der Senat zutreffend bestätigt (Rn 151).
Wollte man also der Argumentation des Senats folgen, und davon ausgehen, dass die Regierung sich gegenüber den USA dazu verpflichtet habe, die Selektorenlisten nicht an einen Untersuchungsausschuss herauszugeben, so müsste dieses Abkommen – zumindest im Verhältnis zwischen Regierung und Parlament – als nichtig betrachtet werden. Die Bundesregierung wird bei zukünftigen Abkommen darauf achten müssen, ihre Vertragspartner über die ihr obliegenden verfassungsrechtlichen Pflichten aufzuklären, und entsprechende Klauseln in die von ihr abgeschlossenen Verträge aufzunehmen, die es ihr erlauben, diesen Pflichten nachzukommen. Sollte die Regierung gegenüber ihren Verhandlungspartnern in den USA den Eindruck erweckt haben, sie könne sich tatsächlich davon freikaufen, die ihr anvertrauten Informationen erforderlichenfalls einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Verfügung zu stellen, und erweist sich diese Zusage nachträglich als unerfüllbar, so ist in der Tat nicht auszuschließen, dass die internationalen Beziehungen darunter leiden werden, und dadurch Schaden für die Bundesrepublik zu befürchten ist. Diese Staatswohlgefährdung kann jedoch ausschließlich der Regierung selbst zugerechnet werden, die ihre Verhandlungen nicht aufrichtig geführt und ihre Vertragspartner nicht wahrheitsgemäß informiert hat. Die Verantwortung für die Verfassungsmäßigkeit der von ihr geschlossenen Abkommen kann nur bei der Regierung liegen. Das Parlament kann kein Risiko für die Inhalte von ihm nicht bekannten Abkommen tragen. Diese Argumentationslinie ist auch dem Senat nicht fremd (Rn 173), wird in der weiteren Begründung aber nicht in überzeugender Weise entkräftet. Zu betonen, dass die terroristische Bedrohung immens und ihre Abwehr unerlässlich sei, mag ein politisches Verkaufsargument sein. Juristisch überzeugend ist es nicht. Eine staatliche „Sicherehitspolitik um jeden Preis“ kennt das Grundgesetz nicht. Die Verantwortung dafür, im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben zweckmäßige Maßnahmen zu ergreifen, und sich Optionen für Alternativen offen zu halten, obliegt der Regierung, nicht dem BVerfG.
Aber auch die Argumentation des Senats, dass die Regierung kraft der von ihr geschlossenen Abkommen außer Stande sei, dem Untersuchungsausschuss die gewünschten Selektorenlisten vorzulegen, hinkt. Da der genaue Inhalt der Abkommen Verschlusssache ist, wird man in der öffentlichen Diskussion davon ausgehen müssen, dass die Ausführungen des Senats zum Inhalt der Abkommen insoweit zutreffend sind. Denen zufolge enthalten die geschlossenen Abkommen aber eben gerade keine klare Aussage darüber, ob eine Offenlegung sensibler Informationen gegenüber parlamentarischen Untersuchungsausschüssen ausgeschlossen sei. Im Gegenteil scheint lediglich eine allgemeine Verpflichtung enthalten zu sein, Dritten keinen Zugang zu den anvertrauten Informationen zu gewähren. Der Senat stellt jedoch selbst klar, dass der Bundestag und seine Organe (hier der NSA-Untersuchungsausschuss) gegenüber der Bundesregierung nicht als Außenstehende behandelt werden können und dass ein Informieren des Ausschusses einen adäquaten Geheimnisschutz nicht von vornherein ausschließe (Rn 138).
Beide Argumente versucht der Senat nun dadurch zu entkräften, dass die US-Regierung anderer Auffassung sei (Rn 167, 175). Dies ist jedoch, zumindest in dieser Form, in mehrfacher Hinsicht nicht tragbar.
Bestehen bei einer gegenseitigen Willenserklärung (sei es in Form eines völkerrechtlich bindenden Vertrags oder eines anderen Abkommens) Unklarheiten über den Inhalt des Abkommens, so kann das rechtliche Risiko, das sich aus der dann notwendigen ergänzenden Auslegung ergibt, nicht einseitig auf einen der Vertragspartner abgewälzt werden. Vielmehr ist eine Auslegung zu suchen, welche die gegenseitigen Interessen bestmöglich zum Ausgleich bringt. Der Senat hat dagegen, ohne sich auf tatsächliche oder rechtliche Argumente einzulassen, den nachträglich erklärten Willen der US-Regierung als alleinig maßgeblich bewertet. Zwar ist die Annahme nicht zu beanstanden, dass die US-Regierung als diejenige Partei, die die Informationen beschafft und an die Bundesregierung übermittelt hat, besser in der Lage ist, den Schaden, der ihr durch eine möglicherweise zu besorgende Indirektion entstehen könnte, abzuschätzen. Dies kann jedoch allenfalls als ein Aspekt im Rahmen einer Abwägung berücksichtigt werden und nicht die vom Gericht notwendigerweise vorzunehmende Abwägung als Ganzes ersetzen. Auch überzeugt es nicht, dass es auch für die Bewertung der Risiken für die rechtswidrige Weitergabe von Informationen, das bei verschiedenen deutschen Institutionen besteht, alleine auf die Einschätzung der US-Regierung ankomme. Die Zuverlässigkeit der im Bundestag getroffenen Maßnahmen zum Geheimnisschutz sollten von deutscher Seite aus mindestens ebenso gut beurteilt werden können.
Schließlich lässt der Senat völlig außer Acht, dass eine wesentliche Aufgabe des NSA-Untersuchungsausschusses darin besteht, aufzuklären, inwieweit ausländische Nachrichtendienste ihre Kooperationen mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) dazu missbraucht haben, letzteren zu überlisten, (in verfassungswidriger Weise) deutsche und europäische Ziele auszuspähen, und aus deutscher Sicht schutzwürdige Geheimnisse an ausländische Dienste preiszugeben. Dass die von den USA übermittelten Selektorenlisten (zumindest vereinzelt) auch solche Anfragen enthalten haben, wurde von keiner Seite in Abrede gestellt. Zwar liegt zumindest aus deutscher Sicht die Verfehlung in erster Linie beim BND, der die übermittelten Selektoren offenbar nicht mit der gebotenen Sorgfalt daraufhin untersucht hat, ob ihre Verwendung zu illegalen Überwachungsmaßnahmen führen würde, oder deutsche Interessen schädigen würde. Jedenfalls muss sich der Auftrag des Untersuchungssausschusses auf die Arbeit der deutschen Behörden beschränken. Nichtsdestotrotz hat die US-Regierung durch ihr Verhalten initial das in sie von der Bundesregierung gesetzte Vertrauen erschüttert und somit durch ihr eigenes Verhalten erst den Anlass für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses geschaffen. Dass die fraglichen Selektoren lediglich aus Unachtsamkeit übermittelt wurden, scheint nicht plausibel. Jedenfalls würde eine solch sorglose Übermittlung ans Ausland der ansonsten stets betonten besonderen Geheimhaltungsbedürftigkeit der Informationen widersprechen. Indem die US-Dienste offenbar bewusst darauf spekuliert haben, dass der BND arglos auch entgegen seiner eigenen Befugnisse und Interessen Ziele ausspähen und entsprechende Erkenntnisse an sie übermitteln würde, haben sie bewusst das Risiko in Kauf genommen, dass dieser Missbrauch auffliegen und Konsequenzen nach sich ziehen würde. Sich daraus ergebende diplomatische Spannungen müssen sich die USA selbst zurechnen lassen. Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die US-Regierung alleine von objektiven Erwägungen getragen ist.
Darüber hinaus ist inzwischen bekannt, dass US-Dienste auch deutsche Nachrichtendienste mit Agenten infiltriert, und dadurch das Vertrauensverhältnis zur Bundesrepublik weiter erschüttert haben (siehe „Fall Markus R.“). Sofern die Bundesregierung es unterlassen hat, die Schwere dieser Vertrauensbrüche in angemessener Weise zu kommunizieren, hat sie die Folgen dieses Versäumnisses selbst zu verantworten. Sie können ihr nicht im Rahmen der Interessensabwägung zugute gehalten werden.
Zwar geht der Senat zurecht davon aus, dass einer verfassungsrichterlichen Prüfung der Einschätzung der Bundesregierung, welche Auswirkungen ihr Verhalten auf die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik hätten, enge Grenzen gesetzt sind (Rn 168–170). Die Einschätzungspräogative der Bundesregierung kann jedoch nicht so weit führen, dass sie durch ihr eigenes Verhalten Tatsachen schaffen könnte, die das von ihr beabsichtigte Verhalten als das einzig mögliche erscheinen lassen. Vielmehr ist die Bundesregierung dazu gehalten, aus allen ihr zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen jene auszuwählen, die es ihr bestmöglich erlauben, ihren verfassungsmäßigen Pflichten nachzukommen. Ansonsten könnte die Regierung nach Belieben vollendete Tatsachen schaffen, die in weiterer Folge ihren Handlungsspielraum derart einschränken, dass alleine Handlungsoptionen, die eine Vernachlässigung ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtungen bedeuten, gangbar scheinen. Dies schüfe aber einen Mechanismus, mit dem die Regierung willkürlich die von Verfassung wegen vorgesehenen demokratischen Kontrollmechanismen aushebeln könnte. Mit dem weitreichenden Ermessensspielraum der Regierung muss auch die Verantwortung einhergehen, sich die Folgen ihrer Fehleinschätzung zurechnen zu lassen. Die Einschätzung ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtungen ist ebenfalls Aufgabe der Regierung; ihre Feststellung jedoch jene des BVerfG.
Schließlich sind die verfassungswidrigen Aktivitäten des BND direkt und alleine der Bundesregierung zuzurechnen. Die von ihr vorgesehenen Maßnahmen um sicherzustellen, dass der BND ausschließlich im Rahmen seines verfassungsmäßigen Auftrags und seiner Kompetenzen agiert, waren offensichtlich unzureichend. Dies begründet ein besonderes parlamentarisches Aufklärungsinteresse. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse werden nicht nur dazu eingesetzt, die Regierung, sondern staatliche Angelegenheiten im Allgemeinen zu untersuchen. In diesem Fall handelt es sich jedoch konkret um eine Aufklärung von Fehlverhalten der Regierung. Insofern kommt der Notwendigkeit, dass der Untersuchungsausschuss unabhängig von der Regierung Sachverhalte erforschen kann, besonders hohes Gewicht zu, und sind Einschätzungen der Bundesregierung, die Tatsachen begründen sollen, die einer solchen Aufklärung entgegen zu stehen scheinen, mit besonderem Vorbehalt zu bewerten, da die Regierung in dieser Hinsicht nicht als unbefangen betrachtet werden kann.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Senat eine von politischen Interessen der Bundesregierung getriebene unausgewogene Entscheidung gefällt hat, die die Handlungsfähigkeit des Untersuchungsausschusses unnötig stark einschränkt. Damit ist wieder eine Chance vertan, dem zügellosen und systematisch verfassungswidrigen Treiben der Nachrichtendienste Einhalt zu gebieten und durch parlamentarische und verfassungsrichterliche Kontrolle das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen, dass die von ihren Steuergeldern finanzierten Dienste für und nicht gegen sie arbeiten.